Wenn Schulrecht Gesundheit gefährdet
Inklusion zwischen Anspruch und Realität
Die Schule soll ein Ort des Lernens, der Entwicklung und der Sicherheit sein – für alle Kinder. Doch ein aktueller Fall zeigt deutlich: Für Kinder mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen kann das österreichische Schulrecht zur Belastung werden – und im schlimmsten Fall sogar die Gesundheit gefährden.
Ein autistisches Mädchen, bei dem die Diagnose erst im Jugendalter gestellt wurde, erlebte durch Reizüberflutung und strukturelle Überforderung regelmäßige Overloads und Meltdowns. Die Folge: zunehmende Schulvermeidung und gesundheitlicher Rückzug. Gemeinsam mit der Familie wurde nach Lösungen gesucht – doch sowohl die Schule als auch Bildungsdirektion und Ombudsstellen boten keine wirklichen Perspektiven. Statt individueller Anpassung lautete der Rat: Schulwechsel.
Dort verschärfte sich das Dilemma: Die Schülerin hätte eine Wiederholungsprüfung ablegen müssen – doch diese durfte laut § 23 Schulunterrichtsgesetz nicht an der neuen Schule stattfinden, weil kein „ortsverändernder Schulwechsel“ im rechtlichen Sinn vorlag. Die klar dokumentierte gesundheitliche Notwendigkeit wurde nicht als ausreichender Grund anerkannt. Begründet wurde dies mit dem Gleichheitsgrundsatz gegenüber nichtbehinderten Schüler*innen – ein Paradoxon, das in der Praxis zu extremer Ungleichbehandlung führt.
Die zuständigen Stellen – Bildungsdirektion, Ombudsstellen, selbst die Kinder- und Jugendanwaltschaft – bestätigten: Die geltenden Regelungen lassen keine Ausnahmen zu. Und: Die UN-Behindertenrechtskonvention sei mangels innerstaatlicher Umsetzung nicht direkt anwendbar.
Die Auswirkungen waren drastisch: gesundheitliche Verschlechterung, Panikattacken, Rückzug, soziale Isolation – bis hin zur medikamentösen Behandlung. Die neue Schule bemühte sich zwar um Unterstützung, doch der Schaden war bereits angerichtet. Die Entwicklung sozialer Kontakte, die in dieser Altersphase essenziell ist, kam zum Erliegen. Langfristige Folgen für Persönlichkeitsentwicklung, psychische Gesundheit und Bildungschancen sind absehbar.
Dieser Fall ist kein Einzelfall. Vielmehr steht er stellvertretend für ein System, das sich selbst im Weg steht: Trotz bestehender völkerrechtlicher Verpflichtungen und verfassungsmäßig garantierter Kinderrechte fehlt es an ihrer konsequenten Umsetzung im Schulalltag. Anpassungen, die für viele Kinder über gesundheitliches Wohlergehen und Bildungschancen entscheiden, sind in der aktuellen Gesetzeslage nicht vorgesehen – oder nur durch gerichtliche Auseinandersetzung erzwingbar. Eine Zumutung für betroffene Familien.
Was es braucht:
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eine verpflichtende Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention im Schulrecht
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gesetzlich verankerte Spielräume für individuelle Lösungen bei gesundheitlicher Indikation
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klare Ausnahmeregelungen für Prüfungssituationen und Schulwechsel
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und vor allem: das Kindeswohl als oberste Handlungsmaxime in allen bildungsbezogenen Entscheidungen.
Den vollständigen Fallbericht, alle rechtlichen Hintergründe und konkrete Handlungsempfehlungen finden Sie im aktuellen #63 POLKM Newsletter auf den Seiten 7 - 9.